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Wat Pa Tam Wua

Weihnachten im Buddhistischen Kloster & Flucht nach Pai

7 Tage im Buddhistischen Kloster - und warum es am Ende doch nur 4 Tage wurden.
Inhalt

Teil 1: Mein Warum

Ich habe meine Oma immer sehr bewundert für ihre positive Lebenseinstellung. Und ich bin überzeugt, dass ihr Glaube dabei eine nicht ganz unwesentliche Rolle spielte. „Der liebe Gott wird’s schon richten“, sagte sie immer. Und wenn er sich mit dem Richten mal ein wenig Zeit ließ, dann hat sie gebetet.

Menschen ohne „Glauben“ im klassischen Sinne haben es da ein wenig schwerer. Als überzeugte Atheistin habe ich keine „höhere Instanz“, an die ich mich wenden kann und die mir Halt gibt. Mein Glaube heißt Selbstwirksamkeit: Ich bin der festen Überzeugung, dass ich schwierige oder herausfordernde Situationen aus eigener Kraft meistern kann; dass ich Dinge beeinflussen, mein Leben selbst gestalten und bei entsprechendem Engagement nahezu alles erreichen kann. Oder zumindest vieles.

Dieser Glaube an mich und meine eigene Leistungsfähigkeit bringt – so gut er auch ist – gewisse Herausforderungen mit sich. Zum Beispiel, dass ich mir angesichts großer Träume hin und wieder zu viel zumute.

So war mein Leben – vor allem im letzten Jahr – eine ziemliche Achterbahn, mit so vielen crazy Kurven, dass ich kaum zum Luftholen kam. Bei dem ganzen Auf und Ab war mir gehörig schwindlig geworden. Mitunter wusste ich gar nicht mehr, wo mir der Kopf stand.

Das gepaart mit meinem grundsätzliches Interesse an der buddhistischen Philosophie als Basis nahezu aller westlichen Achtsamkeits- und Stressbewältigungstechniken weckten bereits vor einiger Zeit mein Interesse an einem Meditations-Retreat. Als ich dann auf meiner Motorradtour rund um den Mae Hong Son Loop im November eher zufällig am Wat Pa Tam Wua hielt – vor allem weil mir das Tal zwischen den Kalksandsteinfelsen so gut gefiel – und ich dort spontan eine unglaubliche und dringend benötigte Ruhe verspürte, war mir klar: hier möchte ich eine Weile verbringen.

Um zur Ruhe zu kommen.

Um mich in meinem neuen Leben zu orientieren.

Um mir Gedanken darüber zu machen, was mir für die Zukunft wichtig ist.

Und wie es weitergehen soll.

Teil 2: Wat Pa Tam Wua

Am 23. Dezember tauschte ich also meine Kevlar-Jeans gegen weiße Schlabberhosen; meine gemütliche Wohnung gegen eine einfache Holzhütte – mit einer steinharten Holzpritsche und einem Wasserschlauch als Waschbecken-Dusch-Kombo; und meinen vollgepackten Alltag gegen … nichts.

Zusammen mit meiner Alltagskleidung gab ich auch alle Verantwortung ab. Für meine Unterkunft wurde gesorgt; für meine Kleidung wurde gesorgt, für mein Essen wurde gesorgt. Und es entstand Platz für

Ruhe. Entspannung. Besinnung.

Wat Pa Tam Wua ist ein buddhistisches Waldkloster in der nordthailändischen Provinz Mae Hong Son, etwa 1 Stunde entfernt von Pai. Das Kloster liegt in einem wunderschönen grünen Tal, eingebettet zwischen hohen Kalksandsteinfelsen, an einem kleinen Bach. Allein die Landschaft strahlt schon eine unglaubliche Ruhe aus.

In Wat Pa Tam Wua sind alle Besucher willkommen, die Interesse an Meditation haben und mehr über Achtsamkeit im Allgemeinen und die buddhistischen Lehren im Besonderen erfahren möchten. Du kannst dort entweder als Tagesgast an Meditation und/oder Chanting teilnehmen und anschließend weiterfahren. Oder Du bleibst wie ich für ein Retreat. Das Kloster finanziert sich ausschließlich durch Spenden, d. h. Unterkunft, veganes Essen (2x am Tag), Bettwäsche und weiße Kleidung (Größe M) werden Dir kostenlos zur Verfügung gestellt.

Anders als bei anderen Vipassana-Retreats geht es im Wat Pa Tam Wua vergleichsweise „locker“ zu:

  • Wat Pa Tam Wua schreibt keine Aufenthaltsdauer vor. Du kannst dort entweder als Tagesgast an Meditation und/oder Chanting teilnehmen und anschließend weiterfahren. Oder Du bleibst wie ich für ein Retreat. Bei letzterem beträgt die Aufenthaltsdauer mindestens 3 Tage und höchstens 10 Tage.
  • Wat Pa Tam Wua ist kein reines Schweigekloster. Zwar werden alle Gäste angehalten, leise zu sein, aber Du kannst auswählen, ob Du die ganze Zeit, einzelne Tage oder gar nicht schweigen möchtest. Solltest Du Dich dafür entscheiden, gibt es an der Information „Silent“-Anstecker, damit Dich niemand versehentlich anspricht.
  • Wat Pa Tam Wua verbietet nicht den Gebrauch von elektronischen Geräten, wie Handy, Computer oder Kamera. Du solltest diese jedoch mit Rücksicht auf andere Gäste dezent und vor allem leise nutzen. Und auch für Deine eigene Erfahrung solltest Du in Betracht ziehen, einmal auf jede Ablenkung zu verzichten.

Gleichzeitig gibt es natürlich auch hier einige Regeln, an die Du Dich halten musst. Dazu gehören so selbstverständliche Dinge wie, Du sollst nicht töten, stehlen oder lügen; einige offensichtliche Dinge, wie Du sollst keine sexuellen Handlungen ausführen, Du sollst keine bewusstseinsverändernden Substanzen (Alkohol, Drogen) zu Dir nehmen; aber auch einige unerwartete Dinge, wie Du sollst keine Musik hören, kein Make-up und keinen Schmuck tragen, keine Blumen oder andere Dekoration haben; Du sollst nicht zur falschen Zeit essen; und Du sollst nicht unnötig hoch und/oder luxuriös schlafen.

Außerdem wird von den Gästen erwartet, dass sie an allen spirituellen Veranstaltungen teilnehmen, also an Rice Offering, Meditation, Chanting und Dhamma Talk. Die Mithilfe im Klosteralltag (z. B. Fegen der Wege) ist hingegen freiwillig.

Teil 3: Der Tagesablauf

5 Uhr an morgens. Es ist arschkalt. Verdammt. Ups. Jetzt habe ich am ersten Morgen gleich 2 Mail gegen die Regel verstoßen, keine „unangemessene Sprache“ zu verwenden. Eigentlich stünde jetzt die erste Meditation an. Aber mal ehrlich: Wer bitte steht um 5 Uhr auf, um alleine in seiner Hütte (Kuti genannt) zu meditieren oder zu chanten??? Ich jedenfalls nicht. Schon gar nicht nach einer durchfrorenen Nacht! Regelverstoß Nummer 3. Das fängt ja gut an 😀

Um meinen rebellischen Morgen ein wenig aufzuhellen (und mich nebenbei vielleicht ein wenig warm zu arbeiten), gehe ich gegen halb sechs runter zum Essensraum und schaue, ob ich bei der Vorbereitung des Frühstücks helfen kann.

Ich hätte nicht gedacht, dass es hier so kalt wird. Im „Winter“ bzw. der trockenen, kalten Jahreszeit fallen die Temperaturen in den Bergen nachts auf einstellige Werte – und das ohne Heizung, dicke Decken oder Winterkleidung. Tagesüber hingegen sind es perfekte 25 Grad. Aber die nächtliche Kälte macht mir echt zu schaffen. Zumal die Hütte gar nicht abgedichtet ist, im Gegenteil. Von allen Seiten zieht kalte Luft rein. Selbst mir 5 Decken und vollständig angezogen schlafe ich nur in kurzen Etappen. Duschen verschiebe ich kurzerhand in die Mittagspause. Absolut undenkbar, das morgens zu machen. Bei Kälte bin ich echt ne Mimi! Zum Glück gibt es ab 6 Uhr heißen Kaffee, Tee und Kakao.

Pünktlich um 6:30 Uhr ertönt der Gong und kündigt das Reisopfer an die Mönche an. Da ich keine Ahnung habe, was mich erwartet, trödle ich ein bisschen vor mich hin und beobachte, was die anderen machen: Jeder schnappt sich einen kleinen Teller mit Reis und einem Löffel vom Frückstücksbuffet, geht hinunter in die angrenzende Dhamma Hall und setzt sich mit untergeschlagenen Beinen und dem Teller zu Füßen entlang des äußeren Randes auf den Boden. Okay, kein Problem, denke ich. Pustekuchen! Mein Teller tanzt aus der Reihe. Wie mir meine freundliche Platznachbarin mitteilt, muss ich diesen ca. 10 cm nach hinten rücken. Jetzt bin auch ich auf Linie. Da sitzen wir und warten. Mein anderer Platznachbar unterteilt derweil seine sowieso schon kleine Reisportion in noch kleinere, mundgerechte Häppchen. Wir werden die Mönche doch hoffentlich nicht füttern????

Endlich halten die Mönche Einzug. Angeführt vom Abt laufen sie entlang unserer Reihe im Karree. Ich beobachte und lerne: Als sich mir der erste Mönch nähert, erhebe ich mich auf die Knie, führe den Teller kurz an meine Stirn und hieve einen Löffel Reis in die Opferschale. Verdammt, ist das Zeug klebrig (Regelverstoß 5). Jetzt verstehe ich, warum mein Nachbar dieses Reisschachbrett geformt hat. Ganz knapp reicht meine Portion für alle Mönche!

Zum Schluss gibt es noch einen kurzen Morgengruß vom Abt persönlich, dann ziehen sich die Mönche in ihre eigene, kleinere Dhamma Hall auf der anderen Seite des Flüsschens zurück. Einige Gäste bringen ihnen dorthin weitere Schüsseln und Töpfe; und dann ist es auch für uns Zeit zum Frühstücken.

Um 8 Uhr geht es weiter mit einem kurzen Dhamma Talk, also einer Lehrstunde über Buddhismus. Wir sitzen in der Dhamma Hall auf flachen Kissen, während einer der älteren Mönche auf Englisch und Thai über Meditation und Vipassana spricht.

Ich habe überhaupt kein Zeitgefühl, aber nach einer relativ kurzen Lehrstunde kündigt der Mönch die erste Gehmeditation an. Da die Dhamma Hall zu allen Seiten hin offen ist und mehrere Zugänge hat, geht jeder an einer anderen Seite raus – je nachdem, wo er oder sie seine Schuhe ausgezogen hat. Ich nehme den Ausgang an der Stirnseite. Der Mönch läuft bereits vorweg, hinter ihm die ersten (schnellen) Barfußläufer. Ich reihe mich in die erste Lücke ein … Regelverstoß Nummer 6. Hastig nähert sich eine Dame in Weiß und fordert mich aufgeregt auf, zu warten, bis die Frauen an der Reihe sind. Frauen laufen nämlich nur am Ende!

So ziehen wir in einer langen Reihe gemächlich durch den wunderschönen Garten. Ich genieße den Spaziergang, die frische (zum Glück nicht mehr eiskalte) Luft, das Nichts-Tun-Müssen …

Zurück in der Dhamma Hall geht es gleich weiter mit 45 Minuten Sitzmeditation in Stille. Bisher habe ich fast ausschließlich geführte Meditationen gemacht und stelle fest, dass es so ganz ohne Führung verdammt schwierig ist, die Gedanken im Zaum zu halten. Manchmal merke ich erst nach gefühlten Ewigkeiten, dass ich gedanklich ganz woanders bin. Aber selbst wenn die Gedanken abschweifen, passiert dies hier ohne Druck. Die Gedanken schweifen nicht zu „ich muss dies noch erledigen“ und „ich muss das noch machen“. Und ohne diesen Druck sortieren sie sich nach und nach ganz von allein …

Schon am zweiten Abend kehrt Ruhe in meinen Kopf ein. Ruhe, die sich am dritten Tag noch vertieft. Und Klarheit. Klarheit auch, dass ich meinen Geburtstag nicht in dieser Umgebung feiern möchte.

Und am dritten Nachmittag gesellt sich Widerstand hinzu!

Wat Pa Tam Wua

Teil 4: Die Flucht

Ich hatte vier wunderbare Tage. Tage, die mir viel Ruhe und Klarheit geschenkt haben. Was ist also passiert, dass ich am fünften Tag ausgebüxt bin?

  1. Je mehr Raum in meinem Kopf entstand, umso klarer wurde mir, dass ich mir für meinen Geburtstag etwas anderes wünschte. Ich wollte in einem warmen, weichen Bett schlafen, mir selbst mein Essen aussuchen und vielleicht auch mit dem ein oder anderen Menschen sprechen. Dieses Nicht-Kommunizieren, während man sich gleichzeitig in einer Gruppe von Menschen bewegt, fühlte sich zunehmend unnatürlich für mich an.
  2. Ich brauche Bewegung! Nach 4 Tagen Rumsitzen und Schneckengang tat mir alles weh. Und ganz ehrlich: Das kann nicht gesund sein! Mein ganzer Körper rebellierte. Ständig sprach jemand darüber, wie wichtig der Geist ist und dass der Körper nur eine zufällige, zeitlich limitierte Ansammlung von Elementen sei. Aber diese zufällige, zeitlich limitierte Ansammlung von Elementen wurde uns geschenkt und solange wir dieses Geschenk haben, sollten wir meines Erachtens bestmöglich für dessen Erhalt sorgen. Und dazu gehört für mich Bewegung!
  3. Von meiner Rüge am ersten Tag hatte ich ja bereits berichtet. Am dritten Tag hatte ich ein ganz ähnliches Erlebnis. Um den Erklärungen des Mönchs besser folgen zu können, setzte ich mich beim nachmittäglichen Dhamma Talk in die zweite Reihe. Und sofort kam eine aufgeregte Dame angelaufen und erklärte mir, dass ich als Frau dort nicht sitzen darf. Frauen sind erst ab Reihe 3 erlaubt. Ich bin wahrlich keine kämpferische Emanze, im Gegenteil. In Deutschland gingen mir meine feministisch angehauchten Freundinnen mitunter ein wenig auf den Keks; ich habe mich dort nie benachteiligt oder in meinen Freiheiten eingeschränkt gefühlt. Aber hier bin ich nun zum dritten Mal damit konfrontiert, dass ich aufgrund meines Frauseins Dinge nicht tun darf. Das erste Mal war ein Schrein in einem Tempel in Chiang Mai, den ich nicht betreten darf, weil ich als Frau menstruiere und somit „unrein“ bin. Ich würde die Heiligkeit des Schreins entwürdigen und verletzten, wie mir auf einem Schild erklärt wurde. WHAT??? Das Einzige, was hier wirklich „unrein“ ist (wenn man es so formulieren möchte), das sind die Gedanken der Männer. Und weil die ihre Gedanken nicht beisammenhaben, sollen wir uns einschränken? Da könnt ich mich aufregen!

Kennt ihr das? Wenn einmal so einen Gedanken im Kopf hat  …

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