5 Uhr an morgens. Es ist arschkalt. Verdammt. Ups. Jetzt habe ich am ersten Morgen gleich 2 Mail gegen die Regel verstoßen, keine „unangemessene Sprache“ zu verwenden. Eigentlich stünde jetzt die erste Meditation an. Aber mal ehrlich: Wer bitte steht um 5 Uhr auf, um alleine in seiner Hütte (Kuti genannt) zu meditieren oder zu chanten??? Ich jedenfalls nicht. Schon gar nicht nach einer durchfrorenen Nacht! Regelverstoß Nummer 3. Das fängt ja gut an 😀
Um meinen rebellischen Morgen ein wenig aufzuhellen (und mich nebenbei vielleicht ein wenig warm zu arbeiten), gehe ich gegen halb sechs runter zum Essensraum und schaue, ob ich bei der Vorbereitung des Frühstücks helfen kann.
Ich hätte nicht gedacht, dass es hier so kalt wird. Im „Winter“ bzw. der trockenen, kalten Jahreszeit fallen die Temperaturen in den Bergen nachts auf einstellige Werte – und das ohne Heizung, dicke Decken oder Winterkleidung. Tagesüber hingegen sind es perfekte 25 Grad. Aber die nächtliche Kälte macht mir echt zu schaffen. Zumal die Hütte gar nicht abgedichtet ist, im Gegenteil. Von allen Seiten zieht kalte Luft rein. Selbst mir 5 Decken und vollständig angezogen schlafe ich nur in kurzen Etappen. Duschen verschiebe ich kurzerhand in die Mittagspause. Absolut undenkbar, das morgens zu machen. Bei Kälte bin ich echt ne Mimi! Zum Glück gibt es ab 6 Uhr heißen Kaffee, Tee und Kakao.
Pünktlich um 6:30 Uhr ertönt der Gong und kündigt das Reisopfer an die Mönche an. Da ich keine Ahnung habe, was mich erwartet, trödle ich ein bisschen vor mich hin und beobachte, was die anderen machen: Jeder schnappt sich einen kleinen Teller mit Reis und einem Löffel vom Frückstücksbuffet, geht hinunter in die angrenzende Dhamma Hall und setzt sich mit untergeschlagenen Beinen und dem Teller zu Füßen entlang des äußeren Randes auf den Boden. Okay, kein Problem, denke ich. Pustekuchen! Mein Teller tanzt aus der Reihe. Wie mir meine freundliche Platznachbarin mitteilt, muss ich diesen ca. 10 cm nach hinten rücken. Jetzt bin auch ich auf Linie. Da sitzen wir und warten. Mein anderer Platznachbar unterteilt derweil seine sowieso schon kleine Reisportion in noch kleinere, mundgerechte Häppchen. Wir werden die Mönche doch hoffentlich nicht füttern????
Endlich halten die Mönche Einzug. Angeführt vom Abt laufen sie entlang unserer Reihe im Karree. Ich beobachte und lerne: Als sich mir der erste Mönch nähert, erhebe ich mich auf die Knie, führe den Teller kurz an meine Stirn und hieve einen Löffel Reis in die Opferschale. Verdammt, ist das Zeug klebrig (Regelverstoß 5). Jetzt verstehe ich, warum mein Nachbar dieses Reisschachbrett geformt hat. Ganz knapp reicht meine Portion für alle Mönche!
Zum Schluss gibt es noch einen kurzen Morgengruß vom Abt persönlich, dann ziehen sich die Mönche in ihre eigene, kleinere Dhamma Hall auf der anderen Seite des Flüsschens zurück. Einige Gäste bringen ihnen dorthin weitere Schüsseln und Töpfe; und dann ist es auch für uns Zeit zum Frühstücken.
Um 8 Uhr geht es weiter mit einem kurzen Dhamma Talk, also einer Lehrstunde über Buddhismus. Wir sitzen in der Dhamma Hall auf flachen Kissen, während einer der älteren Mönche auf Englisch und Thai über Meditation und Vipassana spricht.
Ich habe überhaupt kein Zeitgefühl, aber nach einer relativ kurzen Lehrstunde kündigt der Mönch die erste Gehmeditation an. Da die Dhamma Hall zu allen Seiten hin offen ist und mehrere Zugänge hat, geht jeder an einer anderen Seite raus – je nachdem, wo er oder sie seine Schuhe ausgezogen hat. Ich nehme den Ausgang an der Stirnseite. Der Mönch läuft bereits vorweg, hinter ihm die ersten (schnellen) Barfußläufer. Ich reihe mich in die erste Lücke ein … Regelverstoß Nummer 6. Hastig nähert sich eine Dame in Weiß und fordert mich aufgeregt auf, zu warten, bis die Frauen an der Reihe sind. Frauen laufen nämlich nur am Ende!
So ziehen wir in einer langen Reihe gemächlich durch den wunderschönen Garten. Ich genieße den Spaziergang, die frische (zum Glück nicht mehr eiskalte) Luft, das Nichts-Tun-Müssen …
Zurück in der Dhamma Hall geht es gleich weiter mit 45 Minuten Sitzmeditation in Stille. Bisher habe ich fast ausschließlich geführte Meditationen gemacht und stelle fest, dass es so ganz ohne Führung verdammt schwierig ist, die Gedanken im Zaum zu halten. Manchmal merke ich erst nach gefühlten Ewigkeiten, dass ich gedanklich ganz woanders bin. Aber selbst wenn die Gedanken abschweifen, passiert dies hier ohne Druck. Die Gedanken schweifen nicht zu „ich muss dies noch erledigen“ und „ich muss das noch machen“. Und ohne diesen Druck sortieren sie sich nach und nach ganz von allein …
Schon am zweiten Abend kehrt Ruhe in meinen Kopf ein. Ruhe, die sich am dritten Tag noch vertieft. Und Klarheit. Klarheit auch, dass ich meinen Geburtstag nicht in dieser Umgebung feiern möchte.
Und am dritten Nachmittag gesellt sich Widerstand hinzu!